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(Kein) Sand im Getriebe

«Morgen stechen wir in See!» Das waren meine Worte. «Ach weisst du», antwortet eine französische Segelkollegin, als ich ihr meinen falschen Optimismus schildere «bei marée basse (Niedrigwasser) haben wir auch Pläne gemacht. Die nächste Flut hat sie fortgespült.»

Das Wetterfenster Passt

Wir wollten los, ehrlich. Das Wetterfenster war gut, was in den letzten Wochen keine Selbstverständlichkeit war. Panamas Küste liegt exponiert. Zwischen den Antillen im Nordosten und dem mittelamerikanischen Festland im Südwesten gibt es Nichts als das Karibische Meer. 750 Seemeilen offenes Gewässer, viel Platz, damit der Wind, der um diese Jahreszeit wieder konstant weht, eine See aufbauen kann. Unser erster Törn im neuen Jahr würde zwangsläufig schauklig werden, aber es müsste ja nicht wilder sein als nötig. Der auserwählte Tag war vielversprechend ruhig.

Blick auf eine kleine Insel. Hinter den Riffen gibt es kaum Seegang.

Aber der Motor ist unpässlich

Wir prüfen nochmal den Motor, schlagen das Segel an und packen Proviant in die Seitenfächer des Cockpits. Dann essen wir anständig zu Mittag und nehmen unsere Seekrankheitspastillen. Die Kotz-Cola zum Zwischenspühlen liegt im Badezimmer bereit. Alles klar also. Wir lösen zwei der vier Muringleinen, die ALOY nach vorn und achtern an ihrem Platz in der Marina halten. Die beiden anderen nehmen wir auf Slip, das heisst, dass wir beiden Enden an Bord vertäuen. Es müssen keine Knoten mehr gelöst, sondern die Leinen können unter Fahrt aus der Muringboje gezogen werden.

Der Motor tuckert zufrieden und wir entfernen die vorletzte Leine. Dann lege ich den Rückwärtsgang ein, während René auf dem Vordeck ALOYs letzte Verbindung zur Panamarina trennt. Adiós! Verflixt! Da passiert nix! Der Rückwärtsgang röhrt und rastet nicht ein. Ich heble zwei Mal, keine Veränderung. ALOY driftet langsam nach Backbord und auf die Nachbaryacht zu. René macht die Leine am Bug wieder fest und eilt zurück ins Cockpit. Ich peile kurz unsere Lage und springe dann mitsamt Kleidung ins Wasser, um uns Boot achterlich wieder zu sichern. Ich schwimme zur Luvmuring und René wirft mir eine Belegleine zu, die ich dort festmachen kann. Dann schaltet er den Motor aus und lässt die Badeleiter hinunter. Etwas später kommt ein Mariniero mit Schlauchboot und hilft uns, auch die anderen Festmacher wieder auszubringen.

Getriebeschaden

Dass der Rückwärtsgang nicht zieht, liegt am Getriebe, wie wir wenig später herausfinden. Da der lokale Mechaniker gerade für eine Woche von der Bildfläche verschwunden ist, ist es wieder einmal Bootswerft Rietli-Mechaniker Jerôme, der uns mit gutem Rat zur Seite steht. Dies, obwohl er selbst eine Menge am Hals hat. Vielen Dank Jerôme! Mit seiner Anleitung nehmen wir das Getriebe auseinander und finden die Ursache.

Kegelkupplung mit zwei sandartig beschichteten Kegeln | Zahnrad

Im Getriebe gibt es ein Bauteil mit zwei kegelförmigen Scheiben, die eine sandig-raue Oberfläche aufweisen. Beim Einlegen des Ganges wird eine der Scheiben in Zahnrad gepresst, wodurch sich die Rotation des Motors auf die Welle überträgt. In welche Richtung die Welle dreht, hängt davon ab, welcher der beiden Kegel in ein Zahnrad gepresst wird. Soweit verständlich? Fachkundige dürfen uns gerne mit zusätzlichen Infos versorgen.

Leider ist bei unserer Kupplung die raue Beschichtung bereits stark abgenutzt, weshalb die Übertragung der Rotation nicht mehr richtig funktioniert. Wir benötigen Ersatz und der muss in Europa bestellt werden. So heisst es erst einmal warten.

Warten mit Muse

Da sitzen wir nun also fest, voller Segeleuphorie und grosser Pläne und noch keine einzige Meile im neuen Logbuch. Naja, so gross ist der (See)katzenjammer nicht. Es gäbe schlechtere Orte zum Warten als die Panamarina. ALOY baumelt mit etwa dreissig anderen Jachten in der sicheren Bucht zwischen den Mangroven. Wir geniessen einen herrlichen Ausblick auf eine unbewohnte Insel, können paddeln und schwimmen. Kurz vor Hochwasser ist das Wasser glasklar. Der Zugang zum Land ist nur einen Dinghyhopser entfernt. Es lohnt sich noch nicht einmal richtig Gas zu geben.

Wartezeit bei herrlich klarem Wasser

Warten kann urgemütlich sein. Das Klima ist jetzt im Januar ausgesprochen angenehm, kein Vergleich mit den schwülen Sommermonaten. Dank des konstanten Windes bleiben auch die Stechmücken fern. Ich kann gleich nach dem Aufwachen im Cockpit Yoga machen ohne rundum attackiert zu werden. Nach dem Yoga einen Sprung ins erfrischende Nass, dann gibt’s Frühstück.

Bordyoga im Cockpit | Kräutergarten | Schreibzeit im Marinakaffee

Den restlichen Tag darf ich Recherchieren und Schreiben. Dafür setzen wir uns meist ins Marinakaffee, wo es für einen Dollar einen anständigen Espresso, Trinkwasser und nette Gesellschaft gibt. Die Zeit zum Schreiben geniesse ich besonders. Ein lang gehegtes Herzensprojekt macht endlich wieder Fortschritte. René mag es auch, wenn ich schreibe, weil er dann mit gutem Gewissen und völlig ungestört zocken kann.

Brüllaffen zu Besuch

Eines Nachmittags herrscht Aufregung bei den Gästen der Marina. Ein Gruppe Affen überquert die Strasse. Später klettern die Tiere in den Mangroven direkt hinter dem Lokal umher. Geschickt nutzen sie ihre Greifschwänze, um sich von den Zweigen herunterzulassen. Sylvie, die Marinainhaberin kommt aus dem Büro und erklärt, dass es sich um Brüllaffen handelt. Wie bitte? Diese putzigen Äffchen? Die lauten Schreie, die hier meist morgens kilometerweit durch die Wälder schallen, erinnern mich stets an das Aufheulen massiger Rindviecher. Kaum zu fassen, dass die rund fünfzig Zentimeter langen Primaten solche Laute ausstossen können.

Brüllaffen in den Magroven

Puerto Lindo und Portobelo

Die Seglerinnen, die ihr Boot schon lange in der Panamarina parken und inzwischen hier Residenz genommen haben, besitzen eigene Autos. Das ist sehr praktisch, denn ausser Wald und Wasser gibt es hier nicht viel. Der nächste kleine Gemüsestand liegt drei Kilometer entfernt an der von Schlaglöchern übersäten Kiesstrasse. Susanne und Kathrin nehmen uns gelegentlich mit zum Einkaufen nach Puerto Lindo oder für einen netten Abend nach Portobelo.

Eindrücke aus Portobelo | Susanne und Kathrin

Bonus fürs Boot

ALOY profitiert von weiteren Verbesserungen. Winschen werden gewartet, die Leinenführung der Selbstwendefock optimiert, das Cockpit mit Kräutern hübsch hergerichtet. Sehr spontan erwerben wir dreissig Meter zusätzliche Ankerkette. Ein anderes Seglerpaar hat die ordentlich aussehende Kette aus Gewichtsgründen ausgemistet und im Marinachat für nur 150 Dollar angeboten. Ein Schnäppchen! Wir zögern keine Minute. Hundert Meter Kette reichen ihnen, meint der Verkäufer. Das glauben wir gern. Wir hatten bisher gerade mal Fünfzig. Mit mehr Kette können wir auch in tieferen Gewässern ankern, was für die geplante Route ein echter Vorteil werden könnte. Ach ja, die pazifischen Gewässer. Vorerst liegen sie für uns noch in der Ferne, aber wir machen trotzdem weiter Pläne, die die Flut dann wieder fortwaschen kann.

Unterwegs mit Ocean ALoy

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