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Starkwind vor Guantanamo

Meine Wache ist gerade um, und es wäre Zeit für mich, in die Koje zu schlüpfen. Leider erreichen wir pünktlich aufs Einnachten das Verkehrstrennungsgebiet zwischen Kuba und Haiti. Da müssen wir jetzt durch. Von Backbord kommt ein Kreuzfahrtschiff, von Steuerbord kommen zwei Frachter, weitere Schiffe folgen. Wir versuchen den richtigen Moment abzupassen, um mit genügend Abstand zwischen den Grossschiffen durchzukommen. Als Segelboot dürfen wir die Berufsschifffahrt im Kanal nicht behindern, sondern müssen Kiel quer zum Fahrwasser durchsteuern. Der Wind frischt auf und dreht und prompt stehen wir diagonal im Fahrwasser. Ein weiteres Passagierschiff erreicht den Kanal. Rasch fallen wir ab, fieren die Genua, weiter gehts. Der Adrenalinspiegel ist nicht gerade niedrig, als ich mich, endlich auf der anderen Seite angekommen, doch noch in die Koje kuschle.

Delfine auf dem Weg von Caicos nach Kuba.

An Schlaf ist nicht zu denken. Die Wellen werden steiler, der Wind stärker. Wiederholt löst sich das Steuer aus der Verankerung weil eine kräftige Woge quer gegen das Ruder schlägt. Ich höre René ins Cockpit stürzen, um ALOY wieder auf Kurs zu bringen und die killende Genua zu reffen. Übermüdet übernehme ich um zwei Uhr Nachts. Bei sechs Windstärken und Böen versuche ich unser Boot auf einem möglichst platten Vorwindkurs zu halten, damit wir am militärischen Sperrgebiet von Guantánamo vorbeikommen. Die Wellen sind unüblich kurz und die Kämme brechen immer wieder. Es ist vier Uhr morgens, als eines dieser Biester über ALOYs Heck stürzt und in die Kabine einsteigt. Die Bilge ist halb geflutet. So ein Mist! Den Rest meiner Wache verbringe ich mit lenzen. Mit den ersten Sonnenstrahlen läst der Wind endlich nach.

Marlin Marina Santiago de Cuba, im Hintergrund das stinkende Kraftwerk.

20°01' N / 75°49' W: Gegen Abend erreichen wir die Marina Santiago de Cuba, zwei marode Betonstege, an denen eine Handvoll Yachten vertäut liegen. Kaum angelegt, geht es mit dem Einklarierprozedere los. Zuerst muss uns der Doktor sehen, der unseren Gesundheitszustand überprüft. Dann folgen Zoll- und Grenzschutz, schliesslich gilt es beim Marina-Büro die Gebühren zu entrichten. Man nimmt es allerdings nicht so streng mit der Reihenfolge, denn der Doktor ist spät dran, ein Drucker funktioniert nicht und der berüchtigte Drogenhund scheint auch nicht im Einsatz zu sein. Stattdessen wechselt man uns bei der Marina Dollars zu Schwarzmarktkonditionen in Cubanische Pesos. Dann werden wir Pochito vorgestellt.

Von einem dritten Betonsteg in der Marina sind nur noch die Pfeiler übrig. Das Bürogebäuge im Hintergrund ist recht neu.

Pochito lädt uns auf ein Bier ein. Dass wir die ganze Nacht wach waren, zählt nicht und so finden wir uns drei Stunden nach unserer Ankunft in Kuba auf einer privaten Geburtstagsparty wieder, wo man uns Bier und Rum einschenkt und einen Teller mit kalter Pasta und Geburtstagskuchen reicht. Die Gespräche bleiben bruchstückhaft, da wir kein Spanisch können, dafür werden wir zum Salsatanzen mit den Einheimischen aufgeforderd. Die stört es nicht, dass wir das auch nicht können, im Gegenteil: Sie amüsieren sich köstlich und machen lustige Videos von den linkischen Europäern.

Am nächsten Morgen erklärt uns unser polnischer Bootsnachbar, dass Pochito der lokale Mafioso sei, der hier die Dinge regelt. Wenn man etwas braucht, ein Taxi zum Beispiel oder Lebensmittel, regelt er das. Wir wenden uns an ihn, weil wir in die Stadt wollen. Er ruft einen Bekannten, der uns für wertvolle Dollars nach Santiago fährt. Wir sind kaum aus dem Auto gestiegen, sind wir schon in den fragwürdig-guten Händen eines inoffiziellen Stadtführers. Wir wollen eine SIM-Karte. Bei der offiziellen Telekommunikationsgesellschaft gibt es zurzeit keine, also bringt uns unser Guide zu seinen Schwarzmarktkollegen, die uns eine ihrer teuren Karten andrehen, dann aber auch, netterweise (und gegen einen geringen Aufpreis) Renés Handy so konfigurieren, dass die Karte läuft.

Irgendwann schaffen wir es, den Guide abzuschütteln, essen in einem kleinen Restaurant zu Mittag und spazieren durch die Stadt. Tatsächlich eröffnet sich hier ein Bild von Kuba, wie man es sich vorgestellen mag: Munter-sehnsüchtige Musik, alterhwürdige Kolonialarchitektur zwischen top renoviert und totalem Zerfall, Autos, aus einer anderen Zeit, sogar noch Handkarren und Pferdewagen, daneben brandneue Elektroroller. Der Strom für die Roller wird durch das Verbrennen von Treibstoffen minderer Qualität hergestellt. Das Kraftwerk stammt aus einem anderen Jahrtausend und breitet seine stinkenden Gase über der Stadt aus. Schon nach wenigen Tagen sind die Boote in der Marina mit gelben Flecken dekoriert, die man kaum noch weg bringt. Wir beschliessen, weiterzuziehen.