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25 Tage Blau

28°41´N / 17°46´W

Stets finden wir noch eine Aufgabe. Lebensmittel fertig einstauen, Abfall entsorgen, Wasser nachfüllen, etwas Anständiges essen, Lebensmittel noch einmal umstauen, Kleider für die Nachtwache bereitlegen... "Irgendwann müssen wir los" "Ich will nur noch..." Der Nachmittag ist weit fortgeschritten, als wir uns endlich losreissen. Wir gehen nur noch kurz duschen.

Dann verabschieden wir uns von unseren Hafenplatz-Nachbarn Regina und Achim von der LARA und tuckern zur Tankstelle, um unsere Dieselvorräte für die lange Fahrt aufzufüllen. Was wir in unserer Aufregung nicht beachtet haben, ist, dass hier am Sonntag nur früh morgens getankt werden kann. Also füllen wir den Diesel aus den Kanistern in den Tank und laufen anschliessend mit den leeren Kanistern eine halbe Stunde zu nächsten Autotankstelle. Nochmal ein wenig Schonfrist.

Abschied von La Palma. Das Foto links wurde von Achim und Regina aufgenommen.

Am 19. November um 17:00 Uhr passieren wir das Hafengate von Santa Cruz de la Palma. Europa liegt nun im Kielwasser. Die Wettervorhersage für die ersten Tage geht von schwachen Winden aus. Tatsächlich ist das Meer so eben, wie wir es kaum je erlebt haben. Mit Leichtwind-Genua und Grosssegel gleiten wir in die rasch überkommende Dunkelheit.

Letzter Blick auf El Hierro

In der Morgendämmerung können wir die kanarischen Inseln achteraus noch erkennen. Über UKW-Funk erklingen rund um die Uhr fremde Stimmen in unserer Kajüte. Eine Mitarbeiterin von Teneriffe Radio ruft gezielt Yachten auf, die etwas über den Verbleib eines bestimmten, nicht mehr erreichbaren Segelbootes wissen könnten. Ein anderes Boot sendet PANPAN. Über den AIS-Empfänger erspähen wir das Segelboot MOIN, das bereits einen Tag vor uns aufgebrochen ist, ganz in der Nähe. Warum sind sie nicht weiter? Über Funk erfahren wir vom gestressten Skipper, dass sie Probleme mit Bordsystemen haben und schon total übermüdet sind. So viele Pannen auf dem gutmütigen Atlantik. Wie wird das bei auffrischenden Winden?

24°43´N / 022°27´W

Tag 4 auf See. René schiesst aus der Koje und reisst die Bodenbretter hoch. Er hat ein ungewohntes Gluckern vernommen und tatsächlich sind die nun offenliegenden Bilgenabteile halb voll Wasser. Wo kommt das her? Der Geschmackstest ergibt Süsswasser. Erleichterung. Kein Leck im Rumpf, das Salzwasser einströmen lässt. Aber halt, wo kommt das Süsswasser her? Es hat ja nicht geregnet. Nach einigem Suchen müssen wir feststellen, dass unser grosser Wassertank undicht ist. Au weiha!

René flickt den Wassertank während wir in der Flaute dümpeln.

Genug Essen mit auf die Atlantiküberquerung zu nehmen, war kein Problem. Tatsächlich haben wir ordentlich vorgebunkert, um auch Reserven für die teure Karibik dabei zu haben. Ausreichend Wasser zu bunkern, war die Herausforderung, auch weil die Meinungen darüber, wie viel man benötigt, stark auseinander gehen. Wir haben schlussendlich mit drei Litern Trinkwasser pro Person und Tag kalkuliert und dieses in Fünfliter-Bidons im Supermarkt eingekauft. Unsere beiden Wassertanks, einer mit 80 Litern und einer mit 120 Litern sind für das Koch- und Waschwasser vorgesehen. Dies kommt uns jetzt zu Gute, weil wir wissen, dass das Trinkwasser nicht durch das Leck gefährdet ist.

Schliesslich finden wir das kleine Loch im Kunststoff und können es flicken. Zwei Tage später kann René den Tank wieder ans Bordsystem anhängen. Da wir konsequent mit Salzwasser Geschirr spülen, verschmerzen wir die rund 50 verlorenen Liter, und das Tankwasser reicht gut bis nach Martinique.

Gegen Abend dieses vierten Tages legt der achterlich einfallende Wind auf angenehme drei Windstärken zu und wir können Passatsegel setzen. Das heisst, wir rollen unsere weisse, schwere Genua auf der Leeseite (windabgewandte Seite) aus und setzen das bunte, leichte Tuch im Luv, wo es von dem Spinnakerbaum in Position gehalten wird. Die Segelkombination wird uns für den grössten Teil der Reise gute Dienste leisten, bis... Dazu später.

Während wir nach Süden segeln, verstummen die Funkwellen, das Wasser wird blauer und an Bord stellt sich nach und nach eine gelassene Routine ein. Um 17:00 Uhr UTC lesen wir das Etmal ab, die Strecke, die wir in den letzten 24 Stunden zurückgelegt haben, und notieren dieses zusammen mit unserer Position im Logbuch. Anschliessen wird der Wetterbericht via Satellitentelefon eingeholt, dann das Abendessen gekocht. Bei Sonnenuntergang übernimmt René die erste Nachtwache. Sechs Stunden lang hält er Ausschau nach anderen Booten oder Hindernissen, überwacht unseren Kurs und die Segel, danach übernehme ich bis Sonnenaufgang. Tags über sind wir beide mehrheitlich wach, essen, lesen, betrachten den Ozean. Von hellem Aquamarin, über knalliges Saphir bis zu dunklem Navy, die Landschaft rund um uns ist eine wohltuende Blauharmonie. Ich kann mich in 25 Tagen nicht satt sehen, René vermisst schon nach zwei Tagen die Abwechslung in der Farbpallette sowie Gerüche. Immer wieder beklagt er die fehlenden Gerüche über dem frischen Salzwasser.

Auf dem Törn von Lissabon zu den Kanaren hatten wir ein 4-Stunde-Wachsystem ausprobiert, das wir während 24 Stunden aufrecht erhielten. Nach wenigen Tagen waren wir fix und fertig, weshalb wir uns nach Ankunft in Lanzarote mit der Thematik Nachtwache vertiefterauseinander setzten. Wie wir erfahren haben, wählen viele Langfahrtsegler-Paare ein 6-Stunden-System, weil dieses längere und damit bessere Erholungsphasen ermöglicht. Es besteht die Gefahr, dass bei der langen Wachphase die Konzentration nachlässt, wir kommen aber zum Schluss, dass es mitten auf dem Atlantik nicht so schlimm ist, wenn die Wache mal ein Fünfzehnminuten-Nickerchen macht. Das neue System passt uns viel besser. Wir fühlen uns insgesamt gut ausgeruht, was die Sicherheit an Bord wesentlich erhöht.

Ich bin ein bisschen stolz, dass ich es schaffe, jeden Tag mindestens eine warme Mahlzeit zuzubereiten. Als der Seegang phasenweise zunimmt, wird es anspruchsvoller, da man nichts einfach mal kurz irgendwo hinstellen kann, ohne dass es einem in der nächsten Welle entgegenfliegt. Auch gilt es, die bekannte Regel "Eine Hand für sich, eine Hand fürs Boot" einzuhalten, die meint, dass man sich immer mit einer Hand festhalten soll. Jetzt schnipsel mal Gemüse oder räum das Kühlfach um, wenn du dich selbst und jeden Gegenstand festhalten musst... Mit der Zeit weiss ich, wie ich mich in der Kombüse so verkeile, dass ich zumindest kurzfristig beide Hände zum Kochen frei habe. René muss beim Kochen passen, denn auch wenn es ihm verhältnismässig gut geht, Arbeiten unter Deck schafft er bis zum Schluss nicht, oder nur mit vielen Pausen.

Wir schwelgen in frischem Obst und Gemüsse, solange es vorhanden ist. Gegen Ende gibts auch mal Nudeln mit Dosengemüse oder Reis Casmir mit Dosenobst. Darben müssen wir aber nicht. Frische Zwiebeln und ein Kürbis halten sich bis nach Martinique, den letzten knackigen Apfel essen wir am Tag vor unserer Ankunft.

Obwohl wir wenig tun, werden die Tage gefühlt immer kürzer. Sonnenauf- und Sonnenuntergang geben den Rhythumus des Daseins vor und sind zugleich ein täglicher Höhepunkt, ein faszinierendes Ereignis.

Eine besondere Freude machen uns auch die Delfine, wenn sie ALOYs Weg kreuzen und für eine Weile um ihren Bug herum tanzen.

13°48´N / 040°52´W

Tag 15 und der Wind legt zu. Die üblichen, verstreuten Cumuluswolken weichen einer flächigen Bewölkung. Im Norden zieht eine breite Front auf, die wir intensiv beobachten. Abends diskutieren wir, ob wir die leichte Genua bergen sollen, lassen sie aber stehen, da der Wetterbericht wieder abnehmenden Wind voraussagt. Wir wollen keine Meilen verschenken. Nachts rollt René die schwere Genua weg, weil es zu viel Wind für beide Vorsegel hat. Beim Wachwechsel diskutieren wir erneut, ob die leichte Genua weg muss. Sie ist mühsam zu bergen, gerade wenn es mehr Wind hat. Da das Segel nicht an einem Stag geführt wird, fliegt es nach vorne weg, wenn wir es runterlassen. Es bedarf einiges an Kraft, es an Deck zu ziehen. Ausserdem müssen wir den Spinnakerbaum bergen, was auch nicht ohne ist. Die Nacht ist dunkel. Wir entscheiden uns dagegen.

Der Wind nimmt zu. Gegen Ende werden aus den 1.5 Meter hohen Wellen 3 Meter Wellen.

Gegen den Morgen löst sich mehrmals das festgestellte Ruder, weil der Druck zu hoch wird. Ich muss korrigieren, teilweise das Ruder von Hand festhalten. Der Entschluss steht fest, um Punkt 09:00 Uhr, wenn Renés Wecker klingelt, wird Segel gewechselt. Ich warte ungeduldig. Ihn früher wecken möchte ich aber nicht. Unser Schlaf ist uns sehr kostbar.

Fünfzehn Minuten vor Neun hängt das Segel plötzlich in zwei Teilen im Rigg. Nur noch die Seitennaht hält das obere und das untere Stück zusammen. Jetzt poltere ich doch die Kajütentreppe hinab. "René schnell! Das Segel ist gerissen. Es muss runter, bevor es ganz durch ist." Um Punkt 09:00 Uhr ist es dann auch unten. Zu spät. Wie wir in Martinique erfahren müssen, lässt es sich auch nicht mehr vernünftig reparieren. Wir wissen noch nicht, wie wir langfristig damit umgehen werden. Die restliche Strecke über den Atlantik legen wir teils nur mit der schweren Genua, teils mit Genua und Grosssegel als Schmetterling gesetzt (ein Segel nach Backbord, eines nach Steuerbord), zurück. Bei drei Windstärken plus geht das gut, bei schwachem Wind üben wir uns in Geduld.

14°59´N / 054°18`W

Es ist nicht mehr weit. Gegen Ende unserer Reise überrollen uns Squalls, mächtige Regenwolken, die auch Windböen bringen. Der warme, tropische Regen durchnässt wie eine Dusche in kürzester Zeit alles. Wir lernen rasch, dass alles unter Deck muss, wenn ein Squall naht. Auch jene Luke, die eigentlich geschützt unter dem Vordach liegt, muss geschlossen werden, weil der Wind den Regen quer bläst. Nach wenigen Minuten ist der Spuck jeweils vorbei.

Das Land kommt unspektakulär nachts in Sichtweite. Erst sehen wir die hellen Lichtkegel der Zivilisation am Himmel, der den Schimmer der Milchstrasse überstrahlt. Dann, irgendwann, leuchten Lampen tief am Horizont. Als wir Martinique im Morgengrauen ansteuern, zieht gerade wieder ein beeindruckender Squall auf und wir bringen uns unter Deck in Sicherheit. Die Regenwand lässt einen Regenbogen zurück, der sich prächtig über die nahenden grünen Hügel reckt. Wir riechen Wald. René es ist selig. Unser Anker fällt um 09:40 Uhr in der sonnendurchfluteten Bucht Cul du Sac de Marin. Karibik, wir sind da!

Martinique, Cul du Sac de Marin am Morgen des 14. Dezembers

Atlantiküberquerung vom 19.11. bis zum 14.12.2023. 25 Tage, 2966 gesegelte Meilen. Wegen hartnäckiger Flaute im Norden mussten wir einen weiten Bogen nach Süden fahren, aber wir hatten Glück. Andere, die nach uns gestartet sind, sassen in der Flaute fest. Wir sind dankbar für das gute, vor allem auch sturmfreie Wetter und die sichere Überfahrt.